Jahrgangsgemischte Eingangsstufe (JES)
Grundsätze
„Grundschulen können den 1. und 2. Schuljahrgang als pädagogische Einheit führen, die von einzelnen Schülerinnen und Schülern auch in einem oder drei Schuljahren durchlaufen werden kann. In der Eingangsstufe werden Kinder des 1. und 2. Schuljahrgangs in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen unterrichtet. An Grundschulen mit einer Eingangsstufe wird kein Schulkindergarten geführt.“ [1]
[1] KuMi Niedersachsen: Erlass Arbeit in der Grundschule vom 3.2.2004
1. Folgende Grundsätze ergeben sich für unsere Arbeit in der JES:
- Alle schulpflichtigen Kinder werden aufgenommen. Eine Zurückstellung gibt es bei diesem Schulmodell nicht.
- Jedes Kind lernt entsprechend seiner individuellen Voraussetzungen in seinem eigenen Tempo.
- Eine individuelle Verweildauer von einen bis zu drei Jahren ist möglich (das dritte Jahr in der Eingangsstufe wird nicht als Wiederholung bei der Schulbesuchszeit berechnet).
- Es gibt kein „Sitzenbleiben“, das bedeutet: Verweilen in der Stammklasse im bekannten Schulumfeld, kein Wiederholen des Lernstoffes, sondern „Weiterarbeiten“ an bisher gelernten Inhalten (individuelle Lernentwicklung).
- Es gibt in den Hauptfächern kein Lernen im Gleichschritt, sondern eine individuelle Planarbeit ermöglicht selbstständiges Lernen.
- Das Material ist so aufbereitet, dass individualisiertes, selbständiges und handlungsorientiertes Lernen ermöglicht wird.
- Über das selbstständige Lernen hinaus gibt es gemeinsame Angebote im Klassenverband (z.B. Geschichten, Gedichte, Bilder, Werkstätten) die je nach Lernstand bearbeitet werden.
- Große Bedeutung hat das soziale Lernen, das in der Klasse und innerhalb von Projekten immer wieder eingeübt wird.
- LehrerInnen sind in der Eingangsstufe insbesondere Lernbegleiter von Lern- und Lehrprozessen. Lern- und Leistungsfähigkeit wird durch individuelle Lernangebote erhalten und verstärkt. Die Lehrkraft vermittelt dennoch Inhalte, aber sie steht stets helfend und unterstützend zur Seite.
- In jedem Jahr verlassen Kinder, die die Lernziele der Eingangsstufe (die des 1. und 2. Schuljahrgangs) erreicht haben, die Gruppe, um in die jahrgangsgleiche 3. Klassen zu gehen.
- In jedem Jahr kommen neue Lernanfänger in die Gruppe (Einschulung 1. Klasse – „Sterne“).
- Die Kinder, die in der Gruppe geblieben sind („Sonnen“), führen die neuen SchülerInnen in das Schul- und Klassenleben ein, helfen und unterstützen sie – unser Patensystem.
- Systematische Beobachtung der Lernentwicklung und förderdiagnostische Tests (auch durch unsere FörderschullehrerInnen) sind Bestandteile des Unterrichts.
Die SchülerInnen besuchen die jahrgangsgemischte Eingangsstufe in der Regel zwei Jahre. Danach wechseln sie in den 3. Schuljahrgang.
Schnell lernende SchülerInnen können bereits nach einem Jahr in den 3. Schuljahrgang wechseln. SchülerInnen, die mehr Zeit benötigen, können drei Jahre in der Eingangsstufe bleiben und rücken danach in den 3. Schuljahrgang auf. [2]
- Die individuelle Kompetenzentwicklung ist Voraussetzung für die Entscheidung über die Verweildauer. Diese wird circa viermal pro Schuljahr analysiert und in pädagogischen Sitzungen beraten.
[2] Vgl. KuMi Niedersachsen: Jahrgangsgemischte Eingangsstufe – ein Weg zum erfolgreichen Lernen. Hannover 2007, S.4.
2. Pädagogische Begründung
Auf die drängenden Probleme der zunehmenden Heterogenität der zur Einschulung anstehenden Kinder und die allgemeine „veränderte Kindheit“, muss Grundschule pädagogisch und strukturell reagieren.
Kinder unterscheiden sich deutlich in ihrem Einschulungsalter, ihren Erfahrungen, ihren bereits erworbenen Kompetenzen, in ihrer soziokulturellen und ökonomischen Herkunft. Zudem lernen Kinder unterschiedlich schnell, unterschiedlich viel und auf verschiedenen Wegen.
Die Grundschule hat deshalb den Auftrag, mit Unterrichtskonzepten zu arbeiten, die die Ansprüche an Differenzierung und Individualisierung einlösen. Stärker als bisher muss die Grundschule Unterrichtsinhalte nutzen und Unterrichtsprozesse organisieren, die der größeren sozialen und kulturellen Vielfalt von Lebenseinstellungen, Verhaltensweisen und Leistungsmöglichkeiten der Kinder gerecht werden. Kinder unterschiedlichster Begabung und verschiedenen Alters spielen, lernen und arbeiten miteinander.
Ein überschaubarer Tages- und Wochenrhythmus gibt ihnen Orientierung und Sicherheit. Es gibt kein „Sitzenbleiben“, vielmehr eröffnet eine individuelle Verweildauer von einem bis zu drei Jahren in der Eingangsstufe Möglichkeiten, unterschiedlichen Entwicklungsverläufen gerecht zu werden.
Aufgabe der Grundschule ist es, eine Lernkultur zu entwickeln, welche die vorhandene Heterogenität im Bereich der Leistungen positiv für den individuellen Lernprozess nutzt. Das aufmerksame und systematische Beobachten der Lernentwicklungen der Kinder sowie förderdiagnostische Tests sind dabei ein wesentlicher Bestandteil des Unterrichts. Auf dieser Grundlage werden dann die Entscheidungen für weitere Lernschritte getroffen.
Das Eingehen auf die individuellen Fähigkeiten der einzelnen Kinder ist ein Ziel des Unterrichts. Hierzu gehören sowohl die Förderung bei Lern- und Entwicklungsstörungen wie auch die Förderung von besonderen Begabungen. In diesem individualisierten Unterricht steht die Lehrkraft den Schülerinnen und Schülern beim eigenständigen Entwickeln ihrer persönlichen Lern- und Arbeitsprozesse unterstützend zur Seite.
Der Unterrichtsablauf muss transparent und ritualisiert sein, damit ein fester Rahmen für die selbstständige Arbeit gewährleistet ist [3].
Weitere wichtige Informationen für Eltern, Lehrkräfte und Schulen enthält der Flyer „Jahrgangsgemischte Eingangsstufe – ein Weg zum erfolgreichen Lernen“ vom Niedersächsischen Kultusministerium.
[3] Vgl. KuMi Niedersachsen: Jahrgangsgemischte Eingangsstufe – ein Weg zum erfolgreichen Lernen. Hannover 2007, S.5.
3. Schwerpunkte des pädagogischen Konzeptes in der JES
Offener Anfang
Der Offene Anfang (Ameisenzeit) ermöglicht den Kindern eine Ankommenszeit, in der sie Gelegenheit haben, der anwesenden Lehrkraft von wichtigen Dingen zu berichten, angefangene Arbeiten zu beenden und selbst eine Auswahl bezüglich ihres Lernangebotes zu treffen. Sie können sich aus dem umfangreichen Zusatzmaterial etwas, das Unterrichtsinhalte auf vielfache Art sichert und Fähigkeiten wie Wahrnehmung, Feinmotorik und das Denkverhalten trainiert, auswählen. Hier arbeiten die Kinder meist in Partner- oder Gruppenarbeit und trainieren wiederum die kommunikativen Fähigkeiten. Außerdem können die Kindern ihren Arbeitsplatz für den Tag vorbereiten.
Individuelles Lernen
Jedes Kind lernt entsprechend seiner individuellen Voraussetzungen und in seinem eigenen Tempo. Leistungsschwache Kinder werden gefördert, leistungsstarke Kinder gefordert. Ein umfangreiches Materialangebot fördert das individualisierte, selbstständige und handlungsorientierte Arbeiten.
Lernen voneinander und miteinander
Durch das gegenseitige Helfen wird die Sozialkompetenz erheblich gefördert. Der Rollenwechsel von den Hilfesuchenden zu den Helfenden stärkt selbst bei schwachen Kindern das Selbstbewusstsein. Schon in den ersten Wochen wird begonnen, die Kinder zu Spezialisten für bestimmte Aufgaben zu erklären.
Schülerarbeitspläne / Kompetenzraster
Die Schülerarbeitspläne in Deutsch und Mathematik sind auf Grundlage jahrgangsbezogener Inhalte entwickelt worden. Die für den offenen Unterricht konzipierten Lehrwerke „Flex und Flo“ sowie „Flex und Flora“ ermöglichen das selbstständige Arbeiten. Anhand von Schülerarbeitsplänen werden die Schüler durch die aufeinander aufbauenden, differenzierten Lehrwerke geführt. Darüber hinaus steht ein vielfältiges Zusatz- und Differenzierungsmaterial in jedem Klassenraum zur Verfügung.
Die Lernumgebung
Der Klassenraum muss klar und übersichtlich strukturiert sein. Ordnungs- und Ablagesysteme, feste Plätze für Unterrichtsmaterialien und Symbole helfen bei der Orientierung. Für Partner- und Gruppenarbeit stehen Arbeitsplätze im Gruppenraum – dem so genannten „Leisebüro“ – und auf den Fluren zur Verfügung. Um eine gute Strukturierung z.B. für die Lagerung der Pläne und die Materialien für die Ameisenzeit bieten zu können, ist eine überlegte Möbelauswahl unabdingbar. Jede Klasse hat einen festen Sitzkreis und einen roten Teppich vor der Tafel, um dort z.B. auch in Kleingruppen Unterrichtssequenzen durchführen zu können.
Materialien
Sowohl für den Offenen Anfang als auch für die Erarbeitung durch Pläne ist es erforderlich, ein Spektrum an geeignetem Material vorzuhalten, das selbstständiges Arbeiten ermöglicht. Es sollte selbsterklärend oder leicht verständlich sein, ggf. eine Selbstkontrolle ermöglichen und einen hohen Aufforderungscharakter haben. Es ist dringend erforderlich, Material vorzuhalten, das auf die unterschiedlichen Anforderungsstufen eingeht und auch Herausforderungen für starke Kinder darstellt.
Leistungsfeststellung und Bewertung / Dokumentation
Die Dokumentation der Lern- und Leistungsstände stellt eine Herausforderung dar, da gerade beim Unterrichten heterogener Lerngruppen mit unterschiedlichen Lernfortschritten jeder einzelne Schüler im Blick behalten werden muss. Regelmäßige Lernzielkontrollen nach jedem bearbeiteten Plan in den Bereichen Schreiben und Rechnen sowie Vorleseübungen sichern die erreichten Lernstände ab. Am Ende eines jeden Planes erhalten die Schüler eine schriftliche Rückmeldung, die danach auch den Eltern zugeht.
Rasterzeugnisse
In Berichtszeugnissen fiel es schwer deutlich zu machen, welche Ziele und Kompetenzen zu erreichen sind und welche noch nicht erreicht wurden. Aus diesem Grund sind Rasterzeugnisse entwickelt worden, die so angelegt sind, dass die Schritte bis zum Erreichen der erforderlichen Kompetenzen beschrieben werden. Es gibt eine 4-gliedrige Abstufung für jede beschriebene Kompetenz. Dieses Zeugnis bietet die Möglichkeit, es für beide Jahrgänge nutzen zu können und die Entwicklung jedes Schülers deutlich machen zu können.
Lernzeiten und Hausaufgaben werden genutzt, um zu üben, sich Ziele zu stecken, selbstständig an den Plänen zu arbeiten und durch ergänzende Materialien die Inhalte zu festigen. Die Pläne werden in der Regel nicht zu Hause bearbeitet. Zu den Übungsaufgaben imhäuslichenBereich zählen das Üben von Lernwörtern, mathematische Trainingsaufgaben und das tägliche Lesetraining. (Vgl. Anlage „Lernzeiten in der Grundschule“)
Rhythmisierung des Unterrichts
Eine gleichbleibende zeitliche Strukturierung des Vormittages gibt den Kindern Sicherheit und Orientierung. Dazu gehören die Ameisenzeit (Ankommenszeit), der Morgenkreis, die durch die Schüler gestaltete Morgenmoderation, das gemeinsame Frühstück, der Klassenrat, die Lernzeit sowie gelenkte Unterrichtsphasen zur Einführung neuer Unterrichtsinhalte. Die Klassenlehrer unterrichten immer im ersten Block, d.h. sie stehen für den offenen Anfang zur Verfügung sowie für die Planarbeitszeit in Deutsch und Mathematik. Danach folgen der Fachunterricht bzw. die Lernzeitstunden. Ein typischer Tag in der JES:
Die Lehrkräfte der Eingangsstufe überprüfen ihre Zielsetzung ständig anhand der Praxis. Infolgedessen werden sich auch zukünftig sicherlich immer wieder Anpassungsveränderungen des Oldendorfer Eingangsstufenkonzeptes ergeben.
Lehrereinsatz
Die Klassenlehrer haben einen möglichst hohen Stundenansatz in der eigenen Klasse. Fachunterricht wird, wenn erforderlich, überwiegend durch die Lehrkräfte des Teams erteilt. Eine Doppelbesetzung (zwei Lehrkräfte für eine Klasse) findet in jeder Klasse möglichst täglich statt. Hierzu zählen Lehrkräfte, pädagogische Mitarbeiter und Förderschullehrkräfte.
Teamarbeit
Die Lehrkräfte der Eingangsstufe bilden ein Team. Es finden wöchentliche Teamsitzungen zum Austausch über die Arbeit, Unterrichtsplanung, zur Klärung auftretender Fragen sowie zur Optimierung der Arbeit statt. Die Entwicklung und Überarbeitung von Arbeitsplänen wird in Arbeitsgruppen, bestehend aus einzelnen Teamkollegen, geleistet.
Elternarbeit
Eine intensive Elternarbeit ist erforderlich, um den Eltern eine Transparenz der Arbeit zu bieten. Bereits ein Jahr vor der Einschulung wird auf einem Elternabend über die Schulfähigkeit gesprochen und es wird auf Fragen zur Eingangsstufe eingegangen. Auf den Elternabenden vor der Einschulung können die Eltern der bisherigen „Sternen-“ und „Sonnenkinder“ einbezogen werden, um über ihre Erfahrungen und Beobachtungen zu berichten. Ein Film über die Eingangsstufenarbeit kann gezeigt werden, um die Arbeit in der JES sowie die Abläufe deutlicher machen zu können. Die Eltern werden also vor der Einschulung eingehend über die Besonderheiten der JES informiert und werden fortlaufend regelmäßig auf Elternabenden und Sprechtragen auf den Aktuellen Stand gebracht. Es besteht ein regelmäßiger Austausch.
Kooperation mit Kindergärten
Um den Schuleintritt für Kindergartenkinder besonders angenehm zu gestalten, bietet die Grundschule Oldendorf ein vielfältiges Angebot. Zu allen Kindergärten des Einzugsgebietes bestehen enge Kontakte mit regelmäßigen Arbeitstreffen und Dienstbesprechungen. Gemeinsame Aktionen der Institutionen (Adventssingen, Schnuppertage in der Ameisenzeit und im Unterricht, Klassen-Kennenlern-Tag vor den Sommerferien, …) werden regelmäßig durchgeführt und dienen einem fließenden Übergang vom Kindergarten zur Schule.
Kooperation mit anderen Schulen
Mit Grundschulen, an denen bereits seit mehreren Jahren eine Eingangsstufe läuft, wurde und wird kooperiert, z.B. durch Hospitationen oder auf einem Elternabend, an dem Eltern und Lehrkräfte von der dortigen Arbeit und den Erfahrungen mit der Eingangsstufe berichteten. Gleichzeitig können andere Schulen bei uns hospitieren und erhalten Einblicke in unsere Arbeit.
Kollegiale Hospitation
Kollegiale Hospitationen werden genutzt, um anderen Lehrkräften, die bislang die JES nur von außen betrachtet haben, einzubeziehen und ihnen Abläufe näher zu bringen.
Übergang in Jahrgang 3
Der Übergang von der JES in den Jahrgang 3 soll für die Schüler möglichst harmonisch erfolgen. Obwohl in Jahrgang 3 wieder jahrgangsbezogen unterrichtet wird, sollen die wichtigsten Elemente der Eingangsstufe bewahrt werden:
- der Offene Anfang,
- die selbstständige Arbeit an Plänen
- Lernzeiten,
- ergänzt durch die Hinführung zur Dokumentation der Lernschritte im Rahmen von Lerntagebüchern,
- Trainingsaufgaben statt Hausaufgaben